Am nächsten Morgen klopfte jemand an seine Tür. Ein Junge stand draußen, sah mit aufmerksamen Augen zu ihm auf und fragte, ob er mitfliegen dürfe.
Mitfahren, sagte Pilâtre. Mit dem Ballon fahre man. Man sage nicht fliegen, sondern fahren. So sei es Sitte unter Ballonleuten.
Welchen Ballonleuten?
Er sei der erste, sagte Pilâtre, und er habe es so verfügt.
Und nein, natürlich könne keiner mitfahren. Er tätschelte ihm die Wange und wollte die Tür schließen.
Das sei sonst nicht seine Art, sagte der Junge und wischte sich die Nase mit dem Handrücken ab. Aber sein Name sei Gauß, er sei nicht unbekannt, und in Kürze werde er so große Entdeckungen machen wie Isaac Newton. Das sage er nicht aus Eitelkeit, sondern weil die Zeit knapp und es nötig sei, daß er an dem Flug teilnehme. Man sehe doch die Sterne von da oben besser, nicht wahr?
Klarer und nicht verschleiert vom Dunst?
Darauf könne er wetten, sagte Pilâtre.
Deshalb müsse er mit. Er wisse viel über Sterne. Man könne ihn der schärfsten Prüfung unterziehen.
Pilâtre lachte und fragte, wer einem kleinen Mann denn beibringe, so schön zu reden. Er überlegte eine Weile. Na gut, sagte er schließlich, wenn es um die Sterne gehe!
Daniel Kehlmann
Die Vermessung der Welt, Seite 64
Roman
Copyright © 2005 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Archiv der Kategorie: zwischenmenschlich
Deutsche Turnkunst
Seltsam sei es und ungerecht, sagte Gauß, so recht ein Beispiel für die erbärmliche Zufälligkeit der Existenz, daß man in einer bestimmten Zeit geboren und ihr verhaftet sei, ob man wolle oder nicht. Es verschaffe einem einen unziemlichen Vorteil vor der Vergangenheit und mache einen zum Clown der Zukunft.
Eugen nickte schläfrig.
Sogar ein Verstand wie der seine, sagte Gauß, hätte in frühen Menschheitsaltern oder an den Ufern des Orinoko nichts zu leisten vermocht, wohingegen jeder Dummkopf in zweihundert Jahren sich über ihn lustig machen und absurden Unsinn über seine Person erfinden könne.
Er überlegte, nannte Eugen noch einmal einen Versager und widmete sich dem Buch. Während er las, starrte Eugen angestrengt aus dem Kutschenfenster, um sein vor Kränkung und Wut verzerrtes Gesicht zu verbergen.
In der Deutschen Turnkunst ging es um Gymnastikgeräte. Ausführlich beschrieb der Autor Vorrichtungen, die er sich ausgedacht hatte, damit man auf ihnen herumklimmen könne. Eine nannte er Pferd, eine andere den Balken, wieder eine andere den Bock.
Der Kerl sei von Sinnen, sagte Gauß, öffnete das Fenster und warf das Buch hinaus.
Daniel Kehlmann
Die Vermessung der Welt, Seite 9
Roman
Copyright © 2005 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Gutes Konzept
Care for me
Fühlen, wie man alt wird
Ich denke gerne gut von den Menschen
„Ihr möget Recht haben,“ erwiderte der junge Kaufmann. „Und ich schäme mich, dass ich von den Leuten nur immer das Gemeinere und Unedle denke, während ihr lieber eine schöne Gesinnung unterlegt. Und doch sind die Menschen in der Regel schlecht, habt ihr dies nicht auch gefunden, Alter?“
„Gerade weil ich dies nicht gefunden habe, denke ich gerne gut von den Menschen,“ antwortete dieser. „Es ging mir gerade wie Euch. Ich lebte so in den Tag hinein, hörte viel Schlimmes von den Menschen, musste selbst an mir viel Schlechtes erfahren und fing an, die Menschen alle für schlechte Geschöpfe zu halten. Doch da fiel mir bei, dass Allah, der so gerecht ist als weise, nicht dulden könnte, dass ein so verworfene Geschlecht auf dieser schönen Erde hause. Ich dachte nach über das, was ich gesehen, was ich erlebt hatte, und siehe – ich hatte nur das Böse gezählt und das Gute vergessen. Ich hatte nicht acht gegeben, wenn einer eine Handlung der Barmherzigkeit übte, ich hatte es natürlich gefunden, wenn ganze Familien tugendhaft lebten und gerecht waren. So oft ich aber Böses, Schlechtes hörte, hatte ich es wohl angemerkt in meinem Gedächtnis. Da fing ich an, mit ganz anderen Augen um mich zu schauen. es freute mich, wenn ich das Gute nicht so sparsam Keimen sah, wie ich anfangs dachte, ich bemerkte das Böse weniger, oder es fiel mir nicht so sehr auf, und so lernte ich die Menschen lieben, lernte Gutes von ihnen denken, und habe mich in langen Jahren seltener geirrt, wenn ich von einem Gutes sprach, als wenn ich ihn für geizig oder gemein oder gottlos hielt.“
Wilhelm Hauff
Märchen
Erschienen bei
Deutsche Bibliothek in Berlin
Circa 1815
Aus dem Abschnitt „der Scheik von Alessandria und seine Sklaven“
Zwischen den Teilen
„Der junge Engländer“
Und
„Die Geschichte Almansors“
Ancona
‚And I hope,‘ added my godmother in conclusion, ‚the child will not be like her mama; as silly and frivolous a little flirt as ever sensible man was weak enough to marry.
For,‘ said she, ‚Mr Home is a sensible man in his way, though not very practical: he is fond of science, and lives half his life in a laboratory trying experiments – a thing his butterfly wife could neither comprehend nor endure; and indeed,‘ confessed my godmother, ‚I should not have liked it myself.‘
Villette –
Charlotte Brontë
First published in 1853
This edition first published in Penguin Classics 2004
This edition published 2016
009
»Hättest du doch nicht immer gesagt, ich bin nicht klug, und statt dessen versucht, so klug zu sein, wie du nur irgend konntest …«, fiel Eustachius ein, aber Jill unterbrach ihn.
»Lass doch den armen alten Wirrkopf in Ruhe«, sagte sie. »Das war doch alles ein Irrtum, nicht wahr, Wirrkopf?«
Die Chroniken von Narnia, C. S. LEWIS
DER LETZTE KAMPF
2005 by Verlag Carl Ueberreuter, Wien
ICH HABE DIE TATSACHE,
dass mein Vater einen übertriebenen Wert auf Äußerlichkeiten legt, lange schlicht als Eitelkeit abgetan. Und in Teilen ist es das sicher auch. Inzwischen aber glaube ich, dass seine Obsession tiefere Gründe hat.
Wohlgestalt bedeutet für ihn Harmonie, Harmonie wiederum Ordnung, Ordnung bedeutet Orientierung, und Orientierung bedeutet Sicherheit. Sein inneres Gleichgewicht hängt von einem äußeren Gleichgewicht ab. Der Körper meiner Mutter hat in ihm, der ohnehin schon verunsichert war, eine massive zusätzliche Verunsicherung bewirkt.
Bis heute hadert mein Vater mit seiner sozialen Stellung.
Meine Großmutter hat ihm, dem emporgekommenen Bauernkind, die Scham über die ländliche, allzu ländliche Herkunft vererbt.
Gutes Aussehen kann ein Kompensationsmittel für den sozialen Aufsteiger darstellen. Man kennt das aus Märchen wie Der gestiefelte Kater, wo es die Schönheit des Müllersohnes ist, die dafür sorgt, dass die Leute ihm die Rolle des Prinzen abkaufen. Auch der Emporkömmling Julien Sorel aus Stendhals Rot und Schwarz wird als ausnahmslos schön beschrieben. Ebenso Jack Londons schreibender Matrose, Martin Eden.
„Einen Schauspieler seiner selbst«, hat meine Mutter meinen Vater gerne genannt, weil er sein gutes Aussehen und die Wirkung auf andere über alles andere stellte.
Es stimmt, fällt mir auf. Im Grunde spielt mein Vater die ganze Zeit Theater. Nur was für ein Stück ist es, das er da seit so vielen Jahren aufführt? Und woher diese Neigung zum Drama?
Daniela Dröscher
Lügen über meine Mutter
Kiepenheuer & Witsch
Gefalle denen mit Geld
In den Kreisen, die Margarete umgaben, wurde Rußland modern. Margarete fing an, Russisch zu lernen. Ihr Lehrer war ein geflüchteter russischer Ingenieur ohne Papiere und ohne Geld. Er sprach gerne von den Grausamkeiten der Bolschewiken, und man kann sagen, daß er davon lebte. Er gefiel allen Menschen, die sich über Revolutionen ärgern. Es ist sehr angenehm, gerade diesen Menschen zu gefallen, denn sie sind es, die Geld haben.
Perlefter
Joseph Roth
© 1978 Verlag Allert de Lange Amsterdam
und Verlag Kiepenheuer & Witsch Köln
Schutzumschlag und Einband Hannes Jähn
Gesamtherstellung Becker Graphischer Betrieb Kevelaer
ISBN 3 462 01263 0