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Und alle Theorien der Freiheit von Gide bis Sartre sind nur immoralistische Konstrukte, die verantwortungslose Junggesellen ersonnen haben. Wie ich, hatte er hinzugefügt, ehe er seine dritte Flasche chilenischen Wein in Angriff nahm.
Michel Houellebecq: KARTE UND GEBIET
Roman Aus dem Französischen von Uli Wittmann
© 2010 Michel Houellebecq/Flammarion
Die französische Originalausgabe erschien 2010 unter dem Titel
La carte et le territoire bei Flammarion, Paris. © 2011 für die deutsche Ausgabe: DuMont Buchverlag, Köln
Archiv der Kategorie: Sartre
Der Ekel
Jean Paul Sartre
So verlor das Vergnügen, indem es ebenfalls in den Rang eines Rechtes überging, seine aggressive Nutzlosigkeit.
Jean Paul Sartre : Der Ekel
Wichtigtuerei
Sie möchten uns weismachen, daß ihre Vergangenheit nicht verloren ist, daß ihre Erinnerung sich verdichtet, sich markig in Weisheit verwandelt hat. Bequeme Vergangenheit! Vergangenheit im Taschenformat, kleines goldenes Buch voll schöner Grundsätze. „Glauben Sie mir, ich spreche aus Erfahrung, alles, was ich weiß, hat mich das Leben gelehrt.“ Hat das Leben es etwa übernommen, für sie zu denken? Sie erklären das Neue mit dem Alten – und das Alte haben sie mit noch älteren Ereignissen erklärt […]
Jean-Paul Sartre, Der Ekel, 1938, © 1981 by Rowohlt Verlag GmbH, p82
Oh, der Leuchtturm!
Das erste Licht, das anging, war das des Leuchtturms Caillebotte; ein kleiner Junge blieb neben mir stehen und murmelte hingerissen: „Oh, der Leuchtturm!“
Jean-Paul Sartre, Der Ekel, 1938, © 1981 by Rowohlt Verlag GmbH, p66
Da fühlte ich mein Herz von einem starken Abenteuergefühl überwältigt.
Einladender Komplizenblick
Der Doktor lacht […] Ich lache nicht, ich gehen nicht auf seine Annäherungsversuche ein: also probiert er, immer noch lachend, das schreckliche Feuer seiner Pupillen an mir aus. Wir schauen uns schweigend ein paar Sekunden lang an; er mustert mich, als wäre er kurzsichtig, er ordnet mich ein. In die Kategorie der Spinner? In die der Strolche?
Trotzdem ist er es, der den Kopf abwendet: eine kleine Schlappe vor einem einsamen Typ ohne soziale Bedeutung, das lohnt nicht, erwähnt zu werden, das vergisst man auf der Stelle. […]
Ich schäme mich für Herrn Achille. Wir gehören zu der selben Sorte, wir müssten gegen sie zusammenhalten. Aber er hat mich im Stich gelassen, er ist auf ihre Seite übergelaufen: er glaubt ehrlich daran, an die Erfahrung. Nicht an seine noch an meine. An die des Doktors Rogé. Vorhin fühlte Herr Achille sich komisch, er hatte den Eindruck, ganz allein zu sein; jetzt weiß er. daß es andere von seiner Sorte gegeben hat, viele andere: der Doktor Rogé ist ihnen begegnet […]
Jean-Paul Sartre, Der Ekel, 1938, © 1981 by Rowohlt Verlag GmbH, p80ff
Wieder die Finger
Gleich kommt der Refrain: den liebe ich besonders, und die abrupte Art, mit der er sich vorwärts wirft, wie eine Klippe gegen das Meer. Im Augenblick wird Jazz gespielt; keine Melodie, nur Noten, eine Myriade von kleinen Stößen. Sie kennen keine Ruhe, eine unbeugsame Ordnung lässt sie entstehen und zerstört sie, ohne ihnen ja Muße zu lassen, sich zu besinnen, für sich zu existieren. Sie rennen, sie drängen sich, sie treffen mich in Vorbeieilen mit einem kurzen Schlag und vergehen. Ich würde sie gern aufhalten, aber ich weiß: wenn es mir gelänge, einen von ihnen zu stoppen, bliebe zwischen meinen Fingern nichts weiter als ein ordinärer und schmachtender Ton. Ich muss ihren Tod akzeptieren; ich muss ihn sogar wollen, diesen Tod: ich kenne wenige Eindrücke, die herber und stärker wären.
Jean-Paul Sartre, Der Ekel, 1938, © 1981 by Rowohlt Verlag GmbH
Eine Art Ekel in den Händen
Die Gegenstände, das dürfte einen nicht berühren, denn das lebt ja nicht. Man bedient sich ihrer, man stellt sie wieder an ihren Platz, man lebt mitten unter ihnen: sie sind nützlich, mehr nicht. Aber mich, mich berühren sie, das ist unerträglich. Ich habe Angst, mit ihnen in Kontakt zu kommen, als wären sie lebendige Tiere.
Jean-Paul Sartre, Der Ekel, 1938, © 1981 by Rowohlt Verlag GmbH