Das Erdbeben von Lissabon (1755) hatte …

… einen ungeheuren Eindruck auf das damalige Europa gemacht. Der Schrecken, den das furchtbare Elementarereigniss in allen Kulturländern verbreitete, prägte sich auch der Literatur ein. Mit glühender Phantasie schildert Voltaire in dem Gedicht Le désastre de Lisbonne die zerstörende Gewalt der unbarmherzigen Natur [ … ]

Trikots an der Wäscheleine in Lissabon in der Abendsonne

Mit dieser eindringlichen Schilderung wird nun die christliche Hypothese eines weisen Gottes kontrastiert, dessen Allmacht und Liebe die Welt geschaffen haben sollen. Es konnte natürlich nicht ausbleiben, daß die zünftige Theologie solchen poetischen Protest der beleidigten Vernunft als einen unerhörten Frevel brandmarkte. Invektiven voll Haß und Eifer hagelten auf dien Philosophen von Ferney nieder, der es wieder einmal gewagt hatte, die Sache der Menschlichkeit gegen den lieben Gott zu führen.
Der also Angegriffene parierte mit einem neuen Hieb: Er schrieb den weltberühmten Roman Candide ou l’optimiste.
Aus der Einleitung zu Voltaires Kandide, erschienen 1912 bei Georg Müller zu MünchenLissabonner Straßenbahn am Abend, 2007