Die elegante Frau

„Als Karoline Neuber, die Reformatorin der deutschen Schauspielkunst, im Jahre 1760 in Laubegast bei Dresden starb, untersagte der Pfarrer aufs strengste bei Ihrem Begräbnis das Öffnen der Kirchentüren, und der Sarg mußte über die Kirchhofsmauer gehoben werden, um ein Plätzchen zu finden. Die Kirche schloß die „Kommödianten“ aus. [ … ]“
Rokokoschauspielerin in Iphigenie auf Tauris - Kolorierter Kupferstich von Gaillard aus 'Galerie des Modes'. Paris, 1780„Die Gagen waren zu jener Zeit nicht hoch. Eine Fille d’Opéra war auf ihre Verehrer angewiesen. Figurantinnen und Ballettmädchen erhielten überhaupt nichts. Sie mußten froh sein, Gelegenheit zu haben, ihre Reize in der Öffentlichkeit zur Schau stellen zu können und dadurch reiche Freunde zu bekommen. Fast alle Theatermädchen fingen so an, und es war von vornherein ausgemacht, dass sie auf Tugend verzichteten.“
Gertrude Aretz, Die Elegante Frau
© 1929 by Grethlein & Co., G.m.b.H. Leipzig

Das Drama der Stunden

Isabelle Eberhardt · Sandmeere · Im heißen Schatten des Islams
„Reisen ist, wenn man nicht denkt, sondern die Abfolge der Dinge vorbeiziehen sieht, wenn sich das eigene Lebensgefühl dem Maß des Raumes einfügt. Die sich langsam entfaltende Monotonie der Landschaft trägt dazu bei, uns Erholung von jenen Falten zu gönnen, die wir angenommen haben; uns mit einem Gefühl von Leichtigkeit und Ruhe zu durchdringen, das dem wie im Dampfbad transportierten, im Fieber liegenden Reisenden nicht zuteil werden kann. Beim ruhigen Schritt der vor Hitze ermatteten Pferde bewahren die geringsten Zufälligkeiten des Weges in meinen Augen ihre bildhafte Schönheit. Es sind keine aufgeregten Situationen; es ist ein ruhiger, lebendiger Geisteszustand, der einst allen menschlichen Rassen eigen war und sich heute noch, ganz in unserer Nähe, im Blut der Nomaden verewigt.“
“Sandmeere”, Band „Im heißen Schatten des Islam“ von Isabelle Eberhardt, 1904, © 1981 März Verlag GmbH, Ausgabe bei Zweitausendeins, aus dem Französischen übertragen von Grete Osterwald
Zeichnung einer Koubba von Isabelle Eberhardt, ca 1904

XXXVI

Aus meinen großen Schmerzen
mach ich die kleinen Lieder;
Die heben ihr klingend Gefieder
und flattern nach ihrem Herzen.
Sie fanden den Weg zur Trauten,
doch kommen sie wieder und klagen,
und klagen, und wollen nicht sagen,
was sie im Herzen schauten.
Heinrich Heine, Buch der Lieder
Leipzig im Insel Verlag

Das Erdbeben von Lissabon (1755) hatte …

… einen ungeheuren Eindruck auf das damalige Europa gemacht. Der Schrecken, den das furchtbare Elementarereigniss in allen Kulturländern verbreitete, prägte sich auch der Literatur ein. Mit glühender Phantasie schildert Voltaire in dem Gedicht Le désastre de Lisbonne die zerstörende Gewalt der unbarmherzigen Natur [ … ]

Trikots an der Wäscheleine in Lissabon in der Abendsonne

Mit dieser eindringlichen Schilderung wird nun die christliche Hypothese eines weisen Gottes kontrastiert, dessen Allmacht und Liebe die Welt geschaffen haben sollen. Es konnte natürlich nicht ausbleiben, daß die zünftige Theologie solchen poetischen Protest der beleidigten Vernunft als einen unerhörten Frevel brandmarkte. Invektiven voll Haß und Eifer hagelten auf dien Philosophen von Ferney nieder, der es wieder einmal gewagt hatte, die Sache der Menschlichkeit gegen den lieben Gott zu führen.
Der also Angegriffene parierte mit einem neuen Hieb: Er schrieb den weltberühmten Roman Candide ou l’optimiste.
Aus der Einleitung zu Voltaires Kandide, erschienen 1912 bei Georg Müller zu MünchenLissabonner Straßenbahn am Abend, 2007