Selten habe ich so wüste Nachtlokale gesehen wie die rings um den Prager Gemüsemarkt und Fleischmarkt. [ … ] In vielhundertjährigen Häusern staken diese Kneipen, und jede hatte ihre Geschichte. Unter dem Eichentisch der Schenke „Zur Hölle“, wo immer Betrunkene liegen, lag 1378 Herzog Wenzel von Luxemburg, als Kammerherren eintraten, um ihm den Tod seines Vaters zu melden, des deutschen Kaisers Karl IV. Sie trugen den sinnlos Betrunkenen ins Schloß hinauf und setzten ihn auf den Thron.
Von der größten Zeche, die je im „Grünen Frosch“ gemacht ward, erzählen noch heute Wirt und Stammgäste, als wären sie dabei gewesen. Aber es sind schon 300 Jahre (jetzt eher 400 Jahre) her, seit Scharfrichter Mydlarz hier die zehn Schock Meißner Silberthaler nach dem Tagwerk vertrank, für das er sie verdient hatte: für die Massenhinrichtung der böhmischen Adelsherren.
In der Kaschemme „Bataillon“ gibt es keine Teller, nur Mulden, die in die Tische eingeschnitten sind; in diese Mulden wird aus einem Schlauch die Suppe gespritzt. Die Blechlöffel sind mit Ketten am Tisch befestigt, damit sie der Gast nicht mitnehmen könne.
Hier bezog Dr. Unger, Universitätsdozent für Staatsrecht und Abgeordneter des Landtags, seinen permanenten Aufenthalt, als er erfuhr, daß seine Frau Orgien mit seinen Kollegen feiere. Bevor er sich bewußt zu Tode trank, vermachte er sein Vermögen den neunzig Stammgästen des „Bataillon“. Dafür sollten sie – so stand es im Testament – jeder mit einer Flasche Haferschnaps in der Hand, an seinem Begräbnis teilnehmen, unterwegs auf sein Seelenheil trinken und sein Lieblingslied singen: „Vorbei, vorbei ist alles, vorbei mein Lebensglück …“
aus „Das tätowierte Portrait“ von Egon Erwin Kisch, © Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig 1987