Der bittere und schweigsame Zorn der Tante

Was konnte ihr die massive Fleischmenge Bidaks anhaben? Ihre Bosheit gab ihr tausend Waffen, gegen die Gesundheit und Kraft wehrlos waren. Sie murmelte Flüche, die man kaum hörte, die man fühlte und die deshalb schon wirkten, noch ehe sie sich erfüllten. Sie war immer da, sie erschien, wenn die Kinder jubelten, und erstickte ihre Freude, und sooft jemand lachte, mußte er plötzlich innehalten, und sein Lachen zerbrach in der Mitte, wie ein fröhliches Glas, das plötzlich springt, man weiß nicht, warum.

Nur Leo Bidak verlor wie gesagt seine Heiterkeit nicht. Gegen ihn richtete sich der bittere und schweigsame Zorn der Tante. Beide konnten einander nichts anhaben. Ihre schreckliche Schlechtigkeit war wie ein viel zu dünner Stahldegen gegen den Panzer starken Frohsinns, der Bidak umgab. Sie waren zwei ewige Feinde, die nach natürlichen Gesetzen nichts gegeneinander können, sie waren wie Tag und Nacht, Sommer und Winter, Tod und Leben.

Perlefter
Joseph Roth
© 1978 Verlag Allert de Lange Amsterdam
und Verlag Kiepenheuer & Witsch Köln
Schutzumschlag und Einband Hannes Jähn
Gesamtherstellung Becker Graphischer Betrieb Kevelaer
ISBN 3 462 01263 0