Man betrinkt sich an der Welt.

Ein abgeschabtes grünes Bändchen, das er auf allen unseren Reisen mit sich führte und das mir am Ende so vertraut wurde wie die Falten und Umrisse seines Gesichts. Es war, man stelle sich vor, in Latein geschrieben, und sein Verfasser hieß Spinoza, ein Detail, das ich auch nach so vielen Jahren nicht vergessen habe. Als ich den Meister fragte, warum er denn immer wieder dieses eine Buch studiere, antwortete er, weil es unmöglich sei, ihm jemals ganz auf den Grund zu kommen. Je tiefer man eindringt, sagte er, desto mehr sieht man, und je mehr man sieht, desto länger braucht man, es zu lesen.

«Bin Zauberbuch», sagte ich. «Es kann nie alle werden.»

«Richtig, Schlingel. Es ist unerschöpflich. Man trinkt den Wein aus, stellt das Glas auf den Tisch, und siehe da, wenn man wieder danach greift, ist es noch immer voll.»

«Und dann ist man stinkbesoffen und hat bloß ein Glas bezahlt.»

«Ich hätte es nicht besser ausdrücken können», sagte er, indem er sich plötzlich von mir abwandte und aus dem Fenster starrte. «Man betrinkt sich an der Welt. An den Rätseln der Welt.»

Paul Auster
Mr. Vertigo, Seite 142
Roman
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September Special in Aachen, The Invisible Touch