Im heißen Schatten des Islam

Isabelle Eberhardt, geboren 17.02.1877 als jüngstes von fünf Kindern einer adeligen russischen Emigrantin, stirbt malariakrank in der Nacht vom 20. auf den 21.10.1904 während eines Unwetters in einer Lehmhütte am Flußufer in Aïn Séfra, weil sie sich weigert, das von der Überschwemmung eingeschlossene Haus zu verlassen.
isabelle eberhardt 1897 in tunesischer Tracht mit Fez und DjellabaIsabelle Eberhardt 1897, aus dem Vorwort ihres Buches „Tagwerke“, Verlag: März bei Zweitausendeins, ©1981

„Mai 1904
Weshalb muß man sich gegen die Dummheit verteidigen, obwohl man ihr gar nichts abzugewinnen hat, obwohl man selbst nichts damit zu tun hat? Ich weiß nicht – diese Dinge interessieren mich nicht: mir bleibt die Sonne und mich lockt der Weg. Das wäre schon fast eine ganze Philosophie.
Einmal hatte ich Gelegenheit, aus nächster Nähe zu beobachten, wie in einer Seele, die ich schon weit erhabener glaubte, eine reine, starke Leidenschaft entbrannte, und ich sagte zu meinem Freund: „Sehen Sie sich vor, wenn man glücklich ist, versteht man nichts mehr vom Leid der anderen …“
Er machte sich auf, das Glück zu finden, wie er zumindest glaubte; und ich ging meinen Schicksalsweg. [ … ]
In der einzigen arabischen Straße des Dorfes finde ich die ruhigen Eindrücke vom letzten Fastenmonat Ramadan des vergangenen Jahres wieder, ich fühle mich ‚zu Hause‘.
Ich treffe viele bekannte Gesichter auf den Bänken und den Matten vor dem Cahouadji. Viele freundschaftliche Grüße werden ausgetauscht.
Und obendrein die innige Freude bei dem Gedanken, schon morgen, in der Morgenröte aufzubrechen und all diese Dinge zu verlassen, die mir doch heute Abend so süß und angenehm sind.
Doch wer, außer einem Nomaden, einem Vagabunden, könnte diesen doppelten Genuß verstehen?
Das Herz noch bewegt von allem, was mich eingenommen hatte und nun hinter mir lag, sagte ich mir: die Liebe ist eine Unruhe; man muß es lieben, zu verlassen, aufzugeben, denn die Dinge und die Wesen gewinnen ihre Schönheit erst im nachhinein.“
Isabelle Eberhardt: Im heißen Schatten des Islams
Isabelle Eberhardts Leichnam wird aus dem zerstörten Haus geborgen, 1904Isabelle Eberhardts Leichnam wird aus dem zerstörten Haus geborgen, Oktober 1904
Bilder und Text aus „Sandmeere“, Isabelle Eberhardt, © 1981 März Verlag GmbH, Ausgabe bei Zweitausendeins, aus dem Französischen übertragen von Grete Osterwald

2 Gedanken zu „Im heißen Schatten des Islam

  1. Das Herz noch bewegt von allem, was mich eingenommen hatte und nun hinter mir lag, sagte ich mir: die Liebe ist eine Unruhe; man muß es lieben, zu verlassen, aufzugeben, denn die Dinge und die Wesen gewinnen ihre Schönheit erst im nachhinein.”
    Isabelle Eberhardt: Im heißen Schatten des Islams
    Das ist allerdings eine interessante Haltung:
    Wohlan denn Herz, nimm Abschied und gesunde!
    Liebste Grüße, Marianne

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