Gold ist Trumpf

In dem Liede lebt unsre Freundschaft fort bis diesen Tag, ganz so, als sei nichts vorgefallen. Und am Ende, warum auch nicht? Ich persönlich bin drüber weg, und Jenny Treibel hat ein Talent, alles zu vergessen, was sie vergessen will. Es ist eine gefährliche Person und um so gefährlicher, als sie’s selbst nicht recht weiß, und sich aufrichtig einbildet, ein gefühlvolles Herz und vor allem ein Herz ›für das Höhere‹ zu haben. Aber sie hat nur ein Herz für das Ponderable, für alles, was ins Gewicht fällt und Zins trägt, und für viel weniger als eine halbe Million gibt sie den Leopold nicht fort, die halbe Million mag herkommen, woher sie will. Und dieser arme Leopold selbst. So viel weißt du doch, der ist nicht der Mensch des Aufbäumens oder der Eskapade nach Gretna Green. Ich sage dir, Marcell, unter Brückner tun es Treibels nicht, und Koegel ist ihnen noch lieber. Denn je mehr es nach Hof schmeckt, desto besser. Sie liberalisieren und sentimentalisieren beständig, aber das alles ist Farce; wenn es gilt Farbe zu bekennen, dann heißt es: ›Gold ist Trumpf‹ und weiter nichts.«

»Ich glaube, daß du Leopold unterschätzest.«

»Ich fürchte, daß ich ihn noch überschätze. Ich kenn ihn noch aus der Untersekunda her. Weiter kam er nicht; wozu auch? Guter Mensch, Mittelgut, und als Charakter noch unter Mittel.«

» Wenn du mit Corinna sprechen könntest.«

» Nicht nötig, Marcell. Durch Dreinreden stört man nur den natürlichen Gang der Dinge. «

Frau Jenny Treibel oder „Wo sich Herz zum Herzen find’t ist ein Roman Theodor Fontanes. Von Januar bis April 1892 in der Deutschen Rundschau vorabgedruckt, Ende 1892 (mit der Jahreszahl 1893) als Buch ausgeliefert

The Morning: Your favorite things of 2022

The best German phrase Lauren Oster in New York City learned via Duolingo this year was “Und für meinen Anwalt eine Apfelschorle” (“And for my lawyer, a sparkling apple juice”). The best phrase Kelly Nichols of Highland Park, Ill., learned (in English) was “weaponized incompetence.”

NYT 24.12.2022

Jeunesse dorée

Es gibt durchaus Leute wie mich, die können Sekt und Aperol trinken und dabei nett aussehen, nicht jedoch diese Jeunesse dorée, die lieber um den Preis für gelangweilte Blasiertheit wetteifert. 


Pia Frankenberg
24.11.2022 taz

Saatgänse schweigen im Flug.

Kraniche oder Gänse?
Beide fliegen gerne in Keilformation oder schrägen Linien.

Die hier sind Kraniche

Kraniche trompeten.
haben lange Beine, die über den Körper hinausragen
Flügel wie Bretter mit langen schwarzen Federn an den Enden.

Graugänse schnattern und quäken
segeln fast nie sondern schlagen häufig mit den Flügeln
Flügel abgeschrägt

ICH HABE DIE TATSACHE,

dass mein Vater einen übertriebenen Wert auf Äußerlichkeiten legt, lange schlicht als Eitelkeit abgetan. Und in Teilen ist es das sicher auch. Inzwischen aber glaube ich, dass seine Obsession tiefere Gründe hat.

Wohlgestalt bedeutet für ihn Harmonie, Harmonie wiederum Ordnung, Ordnung bedeutet Orientierung, und Orientierung bedeutet Sicherheit. Sein inneres Gleichgewicht hängt von einem äußeren Gleichgewicht ab. Der Körper meiner Mutter hat in ihm, der ohnehin schon verunsichert war, eine massive zusätzliche Verunsicherung bewirkt.

Bis heute hadert mein Vater mit seiner sozialen Stellung.

Meine Großmutter hat ihm, dem emporgekommenen Bauernkind, die Scham über die ländliche, allzu ländliche Herkunft vererbt.

Gutes Aussehen kann ein Kompensationsmittel für den sozialen Aufsteiger darstellen. Man kennt das aus Märchen wie Der gestiefelte Kater, wo es die Schönheit des Müllersohnes ist, die dafür sorgt, dass die Leute ihm die Rolle des Prinzen abkaufen. Auch der Emporkömmling Julien Sorel aus Stendhals Rot und Schwarz wird als ausnahmslos schön beschrieben. Ebenso Jack Londons schreibender Matrose, Martin Eden.

„Einen Schauspieler seiner selbst«, hat meine Mutter meinen Vater gerne genannt, weil er sein gutes Aussehen und die Wirkung auf andere über alles andere stellte.

Es stimmt, fällt mir auf. Im Grunde spielt mein Vater die ganze Zeit Theater. Nur was für ein Stück ist es, das er da seit so vielen Jahren aufführt? Und woher diese Neigung zum Drama?


Daniela Dröscher
Lügen über meine Mutter
Kiepenheuer & Witsch

Trickle-down-Faschismus

Es ist bislang eine Art Trickle-down-Faschismus, der sich langsam seinen Raum nimmt in den Gesellschaften, eine Grundhaltung des Verdachts statt des Vertrauens.

Die Faschisten von heute haben gelernt, die Prinzipien der liberalen Demokratie zu benutzen, um sie auszuhöhlen und abzuschaffen. Das Recht etwa oder die Rechtsprechung, das sie als antiliberales Mittel entdeckt haben, die USA sind dafür ein Beispiel.


Georg Diez, taz vom 26.10.2022