Drommetenrot

„Und manchmal fasst mich eine jähe Angst und treibt mich ans Fenster, es ist mir, als müsse dort oben das furchtbare Licht in ungeheuren Wellen über den Himmel rauschen, und ich kann es nicht fassen, das über mir die Sonne steht, von silbernem Dunst verhüllt, von purpurnen Wolken umdrängt oder einsam in der unendlichen Bläue des Himmels, und rings um mich her, wohin ich auch blicke, die uralten, ewigen Farben, die Farben der irdischen Welt.
Niemals mehr habe ich seit jenem Tag das grauenvolle Drommetenrot gesehen.“

Der Meister des jüngsten Tages, Leo Perutz, 1923, Nachdruck Östereichischer Verlag für Belletristik und Wissenschaft, Linz A. D.

Die Tigerin

„Drei Männer waren ihretwegen ins Gefängnis gekommen, zwei hatten sich ihretwegen erschossen und der unzählige Rest ihrer Liebhaber, die sie alle nach wenigen Nächten abgeschüttelt hatte, ohne von Beschwörungen oder Drohungen sich imponieren zu lassen, wäre ausnahmslos auf das kleinste Zeichen hin, zu allem bereit, zu ihr zurückgekehrt.“
Walter Serner: Die Tigerin, erschienen bei Rogner & Bernhard

Nichts Epischeres

havanna
Schon 1837 protestierte Ralph Waldo Emerson gegen die Propheten der Resignation: „Es ist eine böswillige Vorstellung, die besagt, wir wären zu spät in die Natur gekommen; die Welt sei seit langer Zeit fertig.“ Die Welt ist noch nicht fertig. Es fehlen noch fünf Milliarden Jahre, mindestens. Deswegen regen mich die auf, die behaupten, alle Geschichten seien schon erzählt, und die damit jede Schöpfung zur reinen Wiederholung von etwas verdammen, das ein anderer schon früher und besser gemacht hat, oder als reine Arbeit zwischen den Zeilen, mit den Resten seines Festmahles. Es ist ein so reaktionärer Gedanke, als behaupte man, alle Leben seien bereits gelebt, was uns zu Secondhand-Menschen machen würde, zu Imitatoren geliehener Leben, und das nimmt uns unseren Wert und unsere Hoffnung und macht unsere Leidenschaften sinnlos.
aus „Kamtschatka“ von Marcelo Figueras, © 2006 Nagel & Kimche, ISBN 978-3-423-13672-3

Der Rote Tod

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„Und nun erkannten alle, daß der Rote Tod unter ihnen weilte. Er war gekommen wie ein Dieb in der Nacht. Und einer nach dem anderen sanken die Zecher in den blutbedeckten Räumen ihres Festes nieder, und jeder starb in der verzweifelten Gebärde seines Sturzes. Und das Leben der Ebenholzuhr entschwand mit dem Letzten der Fröhlichen. Und die Flammen der Dreifüße erloschen. Und Finsternis und Verwesung und der Rote Tod herrschten schrankenlos über allem.“

Edgar Allan Poe: Die Maske des Roten Todes
Erich Hoffmann Verlag Heidenheim
Illustriert von Fritz Fischer