Trickle-down-Faschismus

Es ist bislang eine Art Trickle-down-Faschismus, der sich langsam seinen Raum nimmt in den Gesellschaften, eine Grundhaltung des Verdachts statt des Vertrauens.

Die Faschisten von heute haben gelernt, die Prinzipien der liberalen Demokratie zu benutzen, um sie auszuhöhlen und abzuschaffen. Das Recht etwa oder die Rechtsprechung, das sie als antiliberales Mittel entdeckt haben, die USA sind dafür ein Beispiel.


Georg Diez, taz vom 26.10.2022

Gefalle denen mit Geld

In den Kreisen, die Margarete umgaben, wurde Rußland modern. Margarete fing an, Russisch zu lernen. Ihr Lehrer war ein geflüchteter russischer Ingenieur ohne Papiere und ohne Geld. Er sprach gerne von den Grausamkeiten der Bolschewiken, und man kann sagen, daß er davon lebte. Er gefiel allen Menschen, die sich über Revolutionen ärgern. Es ist sehr angenehm, gerade diesen Menschen zu gefallen, denn sie sind es, die Geld haben.

Perlefter
Joseph Roth
© 1978 Verlag Allert de Lange Amsterdam
und Verlag Kiepenheuer & Witsch Köln
Schutzumschlag und Einband Hannes Jähn
Gesamtherstellung Becker Graphischer Betrieb Kevelaer
ISBN 3 462 01263 0

Die Wanderratten


„Es gibt zwei Arten von Ratten:
Die hungrigen und die satten.
Die satten bleiben vergnügt zu Haus,
Die hungrigen aber wandern aus.
Sie wandern viel tausend Meilen,
ganz ohne Rasten und Weilen,
Gradaus in ihrem grimmigen Lauf,
Nicht Wind noch Wetter hält sie auf. Sie klimmen wohl über die Höhen,
Sie schwimmen wohl über die Seen;
Gar manche ersäuft oder bricht das Genick.
Die lebenden lassen die todten zurück.
[…]
So eine wilde Ratze,
Die fürchtet nicht Hölle, nicht Katze;
Sie hat kein Gut, sie hat kein Geld
Und wünscht aufs Neue zu theilen die Welt.
Die Wanderratten, o wehe!
Sie sind schon in der Nähe.
Sie rücken heran, ich höre schon
Ihr Pfeifen, die Zahl ist Legion.
O wehe! wir sind verloren,
Sie sind schon vor den Thoren!
Der Bürgermeister und Senat,
Sie schütteln die Köpfe, und Keiner weiß Rath.
Die Bürgerschaft greift zu den Waffen,
Die Glocken läuten die Pfaffen.
Gefährdet ist das Palladium
Des sittlichen Staats, das Eigenthum.
Nicht Glockengeläute, nicht Pfaffengebete,
Nicht hochwohlweise Staatsdekrete,
auch nicht Kanonen, viel Hundertpfünder,
Sie helfen euch heute, ihr lieben Kinder!
Heut helfen auch nicht die Wortgespinste
der abgelebten Redekünste,
Man fängt nicht Ratten mit Syllogismen,
Sie springen über die feinsten Sophismen.
Im hungrigen Magen Eingang finden
Nur Suppenlogik mit Knödelgründen,
Nur Argumente von Rinderbraten,
begleitet mit Göttinger Wurst-Citaten.
ein schweigender Stockfisch, in Butter gesotten,
Behaget den radikalen Rotten
Viel besser, als ein Mirabeau
Und alle Redner seit Cicero.“
Heinrich Heine

Figiakasta

„Mittelländisches Meer, leuchtende Wiege alles Rechten und Schönen, das uns noch tröstet, von Wein und Feigen umfangen!
Wein und Feigen. Er musste lächeln. Ihm fiel ein, was er vor Zeiten einmal gelesen hatte: daß jetzt noch in einigen Sprachen des Nordens aus normannischer Südzeit ein Wort fortbestehe, das vom Verlangen nach Feigen sprach: figiakasta, daß aber die Isländer, die es im Munde führen, seinen früheren Sinn nicht mehr kennen und jede Art von Sehnsucht damit meinen. Ja, hier war alle Sehnsucht gestillt. Hier war man am Ziel. Hier gesundete das Herz von aller Wirrnis, von aller Dumpfheit, die über dem gequälten Erdteil lag, von aller unsaubern, stickigen Schwärmerei, von allen Pulverdünsten und Kirchendünsten, die in der Heimat unter dem bleiernem Himmel das Atmen erschwerten. […] Hierher drang kein Erlösungsschrei vom tausendjährigem Reich […]
Bruno Frank in Sanary-sur-Mer, 1934. Fotografiert von Walter Bondy. This work is in the public domain in its country of origin and other countries and areas where the copyright term is the author's life plus 70 years or less.
Heimkehren also wieder in diesen Braukessel trüb schäumender Böswilligkeit, der sich deutsche Politik nannte, langsam sich wieder mitdrehen im übel gemischten Brei; bei öffentlichen Tagungen die abgestandenen Phrasenreste beschwingterer Vorzeiten schmecken müssen, hinter verschlossenen Türen aber das ängstliche Gezänk von Philistern, die an ihren nächsten schäbigen Vorteil denken. […]
Und um einen das Volk, […] so unkund seiner selbst, so kindisch, daß es jedem schielenden Schmeichler anheim fiel. Nichts ließ es sich in seiner Unsicherheit lieber bezeugen, als daß es allein das Volk aller Völker sei, ausersehen unter den Nationen, umringt von Pfauen und Tigern ganz allein treu, rein, tapfer, fromm, wahrheitsmutig und seelengroß. So weit ging sein Hang zu romantischer Selbstbetäubung, daß ihm jeder recht war, der mit einem Schwall herkömmlich dunstigen Geredes sich selber als Heiland und Symbol der Volkstugenden empfahl: […] wenn er bloß […] seinen Riesenladen mit nationalfrommen Spruchtafeln austapezierte. […] Ach, wer sollte Lust haben zur Rückkehr! Wer sollte nicht wünschen, das alles dort zu vergessen […] .“
Bruno Frank: Politische Novelle, 1928 im Ernst Rowohlt Verlag
figiakasta
„Sismondi erzählt, daß sich seit jenen Tagen in der isländischen Sprache, der altskandinavischen Mundart, noch das Wort «figiakasta» erhalten habe, das heißt nach Feigen Lust haben, eine bildliche Redeweise für den Begriff einer heftigen Sehnsucht überhaupt.“
Ferdinand Gregorovius: Wanderjahre in Italien – Kapitel 88 – first published in 1856 – http://gutenberg.spiegel.de/buch/wanderjahre-in-italien-2409/88
„(2) Les fruits du Midi excitoient les desirs ardens des Septentrionaux. C’étoit en vantant leur saveur, que l’on attiroit les Varangiens du fond de la Scandinavie à Constantinople, pour y former la garde des empereurs; et dans la langue islandoise, parlée autrefois par tout le Scandinaves, on dit encore aujourd’hui figiakasta, désirer des figues, pour dire, désirer quelque chose avec passion. Bonstetten
Histoire des Républiques italiennes du Moyen Âge, Band 1
von Jean-Charles-Léonard Simonde de Sismondi
Quelle: https://books.google.de